Der Bruch des Thomas Mann

Zentralbild Thomas Mann, bürgerlich - humanistischer Schriftsteller von Weltgeltung. geb.: 6.6.1875 in Lübeck gest.: 12.8.1955 Kilchberg (Schweiz) 1929 erhielt er den Nobelpreis. Thomas Mann im Hotel Adlon Berlin. Von dort aus wird Thomas Mann nach Stockholm reisen, um den Nobelpreis in Empfang zu nehmen (1929). UBz.: Der Page bei der Anmeldung eines Besuchers. 41 175-29 [Scherl Bilderdienst99

Thomas Mann, bürgerlich – humanistischer Schriftsteller von Weltgeltung.
geb.: 6.6.1875 in Lübeck
gest.: 12.8.1955 Kilchberg (Schweiz)
1929 erhielt er den Nobelpreis.
Der Page bei der Anmeldung eines Besuchers.

Die stetige Perfektionierung der, teils privatisierten, teils in eine Stiftungsuni umgewandelte Medizinische Universität zu Lübeck, muss ständig perfektioniert und optimiert werden. Ist natürlich und nachvollziehbar. In einem aktuellen Streich sollte in bälde die Namensumbenennung in „Thomas Mann Universität zu Lübeck“ erfolgen, wogegen sich jedoch umgehend Proteste einstellten. Oberärzte der Uni-Klinik protestierten gegen dieses Vorhaben mit einem „offenen Brief“: Die Biografie des Lübecker Schriftsteller und Kultur-Patron Mann weise „Brüche“ auf. Darauf kamen Ärzte, wohlgemerkt. Keine Studenten, nicht einmal der AStA wäre darauf gekommen, aus Thomas Manns Lebenslauf eine Aktion abzuleiten.

Manche wollten es bereits ahnen: Es geht, mit anderen Worten, um die gender-problematische Haltung des Schriftstellers. Thomas Mann hat sich, genau das wirft man ihm offenbar vor, zu Lebzeiten nicht ausreichend und eindeutig positiv zu seiner offenbaren, überwiegend vermuteten und lange spekulierten Homosexualität geäußert. Er war ein bürgerlicher Spießer, der unter seiner Schwulheit litt, sie verdrängte und selbst innerhalb seiner Lyrik verdammte – so würde es wohl heißen. Tatsachen, die offenbar viel schlimmer sind als eine verschwiegene Mitgliedschaft der Waffen-SS mit gleichzeitiger Kriegs-Teilnahme, zum Beispiel.
Könnte man meinen – ist aber ganz anders!
Tatsächlich nämlich greift die Kritik, die nach Angaben der „Lübecker Nachrichten (LN)“ von 13 Mitglieder des akademischen Uni-Senates und dem Uni-Präsidenten gezeichnet wurde, wesentlich tiefer, fundierter und treffender.

Es geht vielmehr um die Frage, wie sehr Themen der Pädophilie im Werke Manns als „Normvariante“ erkennbar sind. Außerdem werden antisemitische Anklänge in Kommentaren Thomas Manns hinterfragt. Wenn Literatur-Kenner Mann hinsichtlich des Antisemitismus auch loyal verteidigen könnten, in dem sie auf spätere eindeutige Distanzierungen und Positionierungen verweisen: hinter den pädophilen Anklängen bleiben Fragezeichen, die von der germanistischen Zunft noch nicht eindeutig geklärt oder geordnet werden konnten (sollten oder wollten?).

Auf „so einer Ebene“ möchte er nicht debattieren, entgegnet beleidigt der überforderte Präsident der Deutschen Thomas Mann Gesellschaft, Hans Wißkirchen, und verweigert sich somit einer dringenden Diskussion über diesen, zum Denken animierte Brief der Lübecker Ärzte- und Professorenschaft.

Natürlich muss eine einzelne Person immer im Kontext seiner Zeit und biografischen Hürden gesehen werden. Aber vielleicht liegt darin die Diskrepanz, dass es immer schwierig ist, eine derartige Institution mit einer individuellen Persönlichkeit zu verbinden. Und für einen Studiengang Germanistik mit einem Zweig „kreatives Schreiben“ ist sicher kein Platz bei den Medizinern…

das Barschel-Möllemann-Grass-Paradox

Weder lustig, noch unterhaltsam – dafür aber durchsichtig und lehrreich: Via Facebook versuchten Unbekannte, eine lächerliche Verschwörungstheorie zu verbreiten. So soll der Schriftsteller Günter Grass angeblich nicht an einer Infektion verstorben, sondern vergiftet worden sein.
Als Beweis dafür wird der Screenshoots eines angeblichen Posts präsentiert, der von einem vermeintlichen Krankenhausmitarbeiter verfasst worden sein soll. Dieser berichtet darin über seltsamen Vorgängen in Lübeck, einer untersagten Obduktion, merkwürdigen Medizinern und einer Flucht nach Russland.

Es bleibt nur anzumerken, dass an Lübecker Krankenhäusern kein Mitarbeiter mit dem Namen Christian Struck beschäftigt ist – wenn dies für manche Leser auch DER Beweis einer Verschwörung ist…

Noch bizarrer: Nachdem diese Story auf Facebook und youtube (Vorsicht: psychotisches Video) mit geringem Erfolg verbreitet wurde, machten die ersten Weblogs ihre Aufmacher.
Die „uncut-news“ aus der Schweiz beklagten sich zwar, die Sache nicht mehr überprüfen zu können, da der Urheber nicht mehr auffindbar sei. Umso fraglicher die Tatsache, folgendes Originaldokument des angeblichen Screenshots nachträglich zu zensieren – „zum Schutze der Personen“(!)
Derselbe Text übrigens auch auf dem eher satirischem Weblog SPÜLGEL.

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… un wür ward nu Dichter?

wikipedia/commons

Günter Grass (1982)

Ein Raunen ging heute durch die Stadt und es war nicht die „Nachttanzdemo“ einiger politisch-Verwirrter, sondern die Nachricht vom Tod des Schriftstellers Günter Grass.
Des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Günter Grass. Des Lübecker Literaturnobelpreisträgers Günter Grass. Wenn auch ein Zugereister, waren manche Lübecker besonders stolz darauf, dass sich ausgerechnet DIESER Schriftsteller zur Stadt bekannte; in der Altstadt würde er seine Heimatstadt Danzig erkennen, meinte er irgendwann.
Dort, aus der Glockengiesserstrasse kam heute nachmittag eine alte Frau, schlurfenden Schrittes: „Der Butt is jezz dot? Un wür ward nu de Dichter??“, wie damals, als Emmanuel Geibel verstarb.
Neben Thomas Mann war der Universalkünstler Grass, der sich neben seinen schriftstellerischen Arbeiten auch mit Bildhauerei, der Grafik und stabilen Kochkünsten beschäftigte (die Synergien lukrativ vermarktet), nun schon der zweite Lübecker Nobelpreisträger.
Der Schriftsteller, der sich als Linken bezeichnet, als demokratischen Linken und sich als solcher auch gab, unterstützte aktiv Willy Brandt in seinem Wahlkampf zur Kanzlerschaft, die Lübecker Genossen hofierten den Schriftsteller, der dennoch 1992 aufgrund des Asylkompromisses unter Protest der SPD kündigte; wie schon 1974 der Kirche, als Grass unter großer Öffentlichkeit die Haltung der Bischöfe zu Recht und Praxis von Schwangerschaftsabbrüchen kritisierte.
Grass begab sich als moralische und mahnende Instanz auf einen gefährlichen Seiltanz über moralische Ansprüche.

Entlassungspapier Guenter Grass

15 AUG 2006, BERLIN/GERMANY:
Reproduktion eine Entlassungspapiers aus der Kriegsgefangenschaft von Günter Grass, hier: GüŸnther Grass. Es handelt sich um die Vorderseite „VorlŠäufige ErklŠärung des Kriegsgefangenen“ mit diversen persönlichen Angaben

Mit der Häutung der Zwiebel, einem autobiografischen Werk, gestand er seinen Lesern seinen freiwilligen Beitritt in die SS, ein stummes Geständnis, denn anschließend ging er moralischen Nachfragen aus dem Weg. Walter Kempowski machte völlig zu Recht darauf aufmerksam, dass er schon als 15jähriger wusste, was es mit der SS auf sich hatte. Grass war bei seiner Gestellung 18 Jahre alt.
Es gab sogar Kritiker, die die gesamte literarische Integrität Grass´ in Frage stellten.
Nicht die eventuell naive Begeisterung eines Jugendlichen irritierte, sondern das Ausschweigen des literarischen Meisters enttäuschte. Und machte wütend.

Seine antisemitischen Anklänge, die sich ins Völkische verirrten, vielleicht sogar wiederkehrten, in Form von greisenhaften Sehnsüchten oder Träumen, machten vollends fassungslos. Trotzdem: Auch hier kein Wort der Erläuterung, keine Diskussion. Zuletzt waren es dann keine zionistischen, sondern amerikanische Feindbilder, als er Schriftstellerin Juli Zeh in ihren Protest gegen die Arbeit der NSA unterstützte, die sich dann im verhaltenspsychologischen und verschwörungstheroretischen Einerlei verlor.

Ein Schriftsteller, der dennoch zu den fünf größten deutschen Schriftsteller gehörte und als letzter, verbliebener Zeitgenosse ein großes Kulturkapitel mit dem heutigen Tage schloss. Der Nobelpreis war nicht nur für „Die Blechtrommel“ angemessen – er hätte für sein Gesamtwerk einen weiteren Nobelpreis verdient.
Bereits jetzt wird Günter Grass mit Goethe in Bedeutung gleichgesetzt – Vergleiche hingegen werden alles andere als Gerecht und im Jenseits soll alles relativ sein. Was bleibt ist dieses großartige Gesamtwerk – und das Lübecker Günter-Grass-Haus in der Glockengiesserstrasse.
Günter Grass verstarb am morgen des 13.04.2015 an einer Infektionserkrankung im Universitätsklinikum Lübeck.

Grass-Haus

Das Lübecker Günther-Grass-Haus