Manche wollten es bereits ahnen: Es geht, mit anderen Worten, um die gender-problematische Haltung des Schriftstellers. Thomas Mann hat sich, genau das wirft man ihm offenbar vor, zu Lebzeiten nicht ausreichend und eindeutig positiv zu seiner offenbaren, überwiegend vermuteten und lange spekulierten Homosexualität geäußert. Er war ein bürgerlicher Spießer, der unter seiner Schwulheit litt, sie verdrängte und selbst innerhalb seiner Lyrik verdammte – so würde es wohl heißen. Tatsachen, die offenbar viel schlimmer sind als eine verschwiegene Mitgliedschaft der Waffen-SS mit gleichzeitiger Kriegs-Teilnahme, zum Beispiel.
Könnte man meinen – ist aber ganz anders!
Tatsächlich nämlich greift die Kritik, die nach Angaben der „Lübecker Nachrichten (LN)“ von 13 Mitglieder des akademischen Uni-Senates und dem Uni-Präsidenten gezeichnet wurde, wesentlich tiefer, fundierter und treffender.
Es geht vielmehr um die Frage, wie sehr Themen der Pädophilie im Werke Manns als „Normvariante“ erkennbar sind. Außerdem werden antisemitische Anklänge in Kommentaren Thomas Manns hinterfragt. Wenn Literatur-Kenner Mann hinsichtlich des Antisemitismus auch loyal verteidigen könnten, in dem sie auf spätere eindeutige Distanzierungen und Positionierungen verweisen: hinter den pädophilen Anklängen bleiben Fragezeichen, die von der germanistischen Zunft noch nicht eindeutig geklärt oder geordnet werden konnten (sollten oder wollten?).
Auf „so einer Ebene“ möchte er nicht debattieren, entgegnet beleidigt der überforderte Präsident der Deutschen Thomas Mann Gesellschaft, Hans Wißkirchen, und verweigert sich somit einer dringenden Diskussion über diesen, zum Denken animierte Brief der Lübecker Ärzte- und Professorenschaft.
Natürlich muss eine einzelne Person immer im Kontext seiner Zeit und biografischen Hürden gesehen werden. Aber vielleicht liegt darin die Diskrepanz, dass es immer schwierig ist, eine derartige Institution mit einer individuellen Persönlichkeit zu verbinden. Und für einen Studiengang Germanistik mit einem Zweig „kreatives Schreiben“ ist sicher kein Platz bei den Medizinern…